Noch 73 Tage: Grundeinkommen für viele Lebenslagen

Grundeinkommen – denn die Würde des Menschen ist unantastbar Die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommen steht für eine neue Grundlage unseres Gesellschaftsvertrages. In Ländern mit entwickelten Bürokratien scheint es daher ein auf den ersten Blick schwer umsetzbares Projekt zu sein. Doch wenn mensch die Idee in Module von verschiedenen Lebenslagen aufteilt, erscheint das ganze nachvollziehbar und umsetzbar. Ein solches Grundeinkommen in Lebenslagen-Modulen gedacht ist eine Chance, den deutschen Sozialstaat und darauf aufbauend auch das europäische Sozialmodell weiterzuentwickeln und die sozialpolitischen Reformvorstellungen inhaltlich und begrifflich zu bündeln.


Grundeinkommen für Kinder

Die erste Lebenslage die wir alle durchleben ist die Kindheit. Betrachten wir dazu also etwa die ersten 18 Jahre eines Lebens. Bisher gibt es hier ein Nebeneinander von bspw. Kindergeld, Kinderzuschlag und Kinderfreibeträgen. Viele Alleinerziehende oder Paare rutschen allerdings heute nur deshalb, weil sie Kinder haben, in den ALG II-Bereich.

Ein Grundeinkommen für Kinder oder eine Kindergrundsicherung kann in Verbindung mit mehr Investitionen in die Bildungs- und Betreuungsinfrastruktur eine Antwort geben. Verschiedene politische Parteien und Sozialverbände haben dies bereits auf ihrer Agenda. In dieser Lebenslage ist die Bedingungslosigkeit unstrittig. Jedes Kind soll unabhängig von Herkunft und Einkommen der Eltern die Chance auf gesellschaftliche Teilhabe bekommen. In der UN Kinderrechtskonvention (Artikel 27: Angemessene Lebensbedingungen; Unterhalt) heißt es dazu: “Die Vertragsstaaten erkennen das Recht jedes Kindes auf einen seiner körperlichen, geistigen, seelischen, sittlichen und sozialen Entwicklung angemessenen Lebensstandards an.”

Grundeinkommen für Ausbildung oder Studium

Die nächste Lebensphase ist die Ausbildung oder das Studium. Wenn der Weg in die Ausbildung nicht gelingt, folgt ein Berufsleben als Ungelernte und dies mit der Gewissheit, dass das Risiko für Ungelernte, auf soziale Transferleistungen angewiesen zu sein, mehr als doppelt so hoch ist wie für andere Erwerbspersonen. Oberstes Ziel in der Berufsbildungspolitik muss sein, dass allen Jugendlichen ein qualifizierter Berufsabschluss ermöglicht wird – in unserer Wissensgesellschaft eine zentrale Voraussetzung für spätere Teilhabe am Erwerbsleben. Mit dem Bafög, den Fördermaßnahmen der Jobcenter und seit neustem der Ausbildungsgarantie der Europäischen Union gibt es hier erste Ansätze.

Das Ausbildungs-Grundeinkommen fügt in dieser Lebensphase die verschiedenen Instrumente zusammen. Dabei beseitigt es gleich einige Mängel des heutigen Flickenteppichs. Keinem Jugendlichen wird dann mehr im Jobcenter empfohlen, das Studium abzubrechen um wieder Essen und Unterkunft zu bekommen. Mit dem Bildungsgeld liegt hier ein durchgerechneter Vorschlag auf dem Tisch.

Grundeinkommen für Erwerbstätige

Die spannendste Lebensphase im Hinblick auf das Grundeinkommen ist sicher die Erwerbsarbeitsphase. Immer mehr Beschäftigungsverhältnisse entstehen in Bereichen außerhalb des klassischen Industriearbeitsplatzes: Entlohnte Pflegearbeit und andere Dienstleistungen in privaten Haushalten, künstlerische Projekte und andere Dienstleistungen zwischen Ehrenamt, kurzfristiger Projekttätigkeit und langfristiger Erwerbsarbeit sowie neue Formen von Selbständigkeit machen es sinnvoll, die soziale Sicherung nicht nur in der Krankenversicherung, sondern auch sonst stärker von dem Bestehen eines Erwerbsarbeitsplatzes zu entkoppeln.

Außerdem brauchen Menschen die Möglichkeit, für Weiterbildung, Kinderbetreuung und Pflege von kranken oder älteren Angehörigen ihre Arbeitszeit zu reduzieren. Deswegen ist es sinnvoll die soziale Sicherung arbeitsplatzunabhängiger zu gestalten. Ein Grundeinkommen für Erwerbstätige (also eine bedingungslose Grundsicherung), beispielsweise in Form einer negativen Einkommenssteuer, stellt hierzu einen unbürokratisch umsetzbaren Weg dar. Das Finanzamt würde die Abwicklung übernehmen und die Jobcenter könnten sich auf die Förderung und Unterstützung von Arbeitssuchenden konzentrieren.

Grundeinkommen im Alter

Im letzten Lebensabschnitt mit Beginn der Rente scheint die Einführung eines Grundeinkommen unabdingbar. Viele Menschen erreichen durch ihre Einzahlungen in die gesetzliche Rente oder durch die private Altersvorsorge kein existenzsicherndes Einkommen mehr. Sie sind dann auf die Grundsicherung für Ältere angewiesen. Dies liegt an der Absenkung des Rentenniveaus und daran, dass aufgrund unsteter Erwerbsverläufe und prekärer Beschäftigung immer weniger Menschen vier Jahrzehnte oder länger Beiträge zahlen können.

Wer mit der gesetzlichen, betrieblichen und privaten Altersvorsorge nur das Niveau der Grundsicherung für Ältere erreicht, dessen gesamte Altersvorsorge dient de facto nur dazu, dass seine Kommune später für ihn weniger Grundsicherung zahlen muss. Für diese Menschen wäre es sinnvoller, nicht fürs Alter vorzusorgen. Die Beitragspflicht in der Rentenversicherung und die Förderung der betrieblichen und privaten Altersvorsorge halten ihn aber dazu an, trotzdem Altersvorsorge zu betreiben. Ein Sozialstaat, der die ärmeren Menschen zu Verhaltensweisen zwingt, die ihnen ökonomisch schaden, macht einen Fehler. Eine steuerfinanzierte Grundrente, also ein Grundeinkommen, zu dem die beitragsfinanzierte Rente und die Eigenvorsorge hinzukommen, ist die richtige Antwort auf dieses Problem.

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