Was könnten und wollten wir nicht alles tun, wenn für unser Einkommen gesorgt wäre! Genau das drehen die KritikerInnen des BGE angstvoll um: Was würden die anderen nicht alles unterlassen, wenn für deren Einkommen gesorgt wäre?
Ihr Angebot, soziale Sicherheit für alle durch Erwerbsarbeit herstellen zu wollen, hätte selbst dann, wenn es ökonomisch durchführbar wäre, den Charakter einer Drohung: Wer sich nicht an der kapitalistischen Erwerbsarbeit beteiligt, wird auch nicht als Teil dieser Gesellschaft betrachtet und abgesichert.
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GegnerInnen des bedingungslosen Grundeinkommens argumentieren, dass soziale Sicherheit für alle auf der Basis einer Beteiligung an der Erwerbsarbeit hergestellt werden könne und müsse. Auf die Idee kann genau genommen nur ein weißer, fest im Kapitalismus verankerter Mann kommen. Auch wenn manche Vertreterinnen dieser Position weiblich sind, konnte es nur für Männer in den kapitalistischen Kernländern eine kurze Zeit lang (in den 50er, 60er und frühen 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts) so scheinen, als sei soziale Sicherheit für alle so tatsächlich herstellbar.
Die allermeisten Menschen in den arm gemachten Ländern des Südens haben nie Erfahrungen gemacht, die eine solche Annahme gerechtfertigt hätten, schon gar nicht, wenn sie weiblich waren. Auch ihre Geschlechtsgenossinnen in den Industrieländern haben regelmäßig erlebt, dass Erwerbsarbeit, wenn sie denn in der Blütezeit des Sozialstaats überhaupt schon welche hatten, sie keinesfalls umfassend sozial abgesichert hätte. Ihre rechtsgültigen Ansprüche an die Sozialsysteme sind bis heute allzu oft über Männer oder Väter vermittelt. Und je dunkler die Haut von Menschen auch in den nördlichen Ländern ist, desto wahrscheinlicher ist ihr gesellschaftlicher Ausschluss auch heute noch. Soziale Sicherheit ist für sie alle nach wie vor eine Frage gesellschaftlicher Versorgung.
Auch für all diejenigen, für die die bürgerlich-kapitalistische Gesellschaft nicht das Ende der Geschichte darstellt, war die Erlaubnis, ihre Arbeitskraft verkaufen zu dürfen, noch nie die ersehnte Perspektive. Der Wunsch, in Freiheit tätig sein zu können, die Hoffnung auf eine Gesellschaft aus freier Übereinstimmung der in ihr Lebenden, die Einsicht in die Grenzen des Wachstums vertragen sich nicht mit einem positiven Bezug auf die kapitalistische Erwerbsarbeit. Sie mag als Notwendigkeit hingenommen werden müssen, sie zur Basis gesellschaftlicher Teilhabe zu machen, wäre auch dann noch inakzeptabel, wenn es denn ökonomisch möglich wäre.
Aber selbst das ist nicht mehr der Fall (und war es im globalen Rahmen noch nie). Moderne Arbeitsverhältnisse spiegeln längst die Tatsache, dass der gesellschaftliche Reichtum mit immer weniger Arbeit hergestellt werden kann. Das heißt nicht, dass alle notwendigen Dinge getan würden, sondern lediglich, dass es genügend Güter und Dienstleistungen gibt, damit alle anständig leben könnten. Und die Zeit, die zu deren Herstellung erforderlich ist, wird immer kürzer. Für die Arbeitsverhältnisse bedeutet das, dass sie unregelmäßiger werden und mehr darauf ausgerichtet sind, dass ganz bestimmte Dinge zu ganz bestimmten Zeitpunkten getan werden. Immer seltener gehen Beschäftigte regelmäßig in ihre Firma, verbringen dort eine festgelegte Zeit und erledigen festgelegte Aufgaben. Die heute üblichen unsteten Abläufe und Erwerbsbiografien eignen sich nicht als Basis für soziale Sicherheit. Diese kann vielmehr angemessen nur noch als wirtschaftsbürgerliches Recht gedacht werden:
Was könnten und wollten wir nicht alles tun, wenn für unser Einkommen gesorgt wäre!
Genau das drehen die KritikerInnen des BGE angstvoll um: Was würden die anderen nicht alles unterlassen, wenn für deren Einkommen gesorgt wäre? Ihr Angebot, soziale Sicherheit für alle durch Erwerbsarbeit herstellen zu wollen, hätte selbst dann, wenn es ökonomisch durchführbar wäre, den Charakter einer Drohung: Wer sich nicht an der kapitalistischen Erwerbsarbeit beteiligt, wird auch nicht als Teil dieser Gesellschaft betrachtet und abgesichert.
Heiner Flassbeck, Friederike Spiecker, Volker Meinhardt und Dieter Vesper ist dafür zu danken, dass sie die dumpfesten Ressentiments der bge-Debatte nicht bedienen. Nicht die vermutete Faulheit der ein Grundeinkommen Begehrenden treibt sie zu ihrer Kritik, sondern die Sorge um die hoch entwickelte gesellschaftliche Arbeitsteilung. Sie fürchten, dass die Leute mit Grundeinkommen nicht mehr bereit wären, hochkomplexe Aufgaben im gesellschaftlichen Gefüge zu übernehmen, sondern sich mit staatlicher Alimentierung in die Selbstversorgung zurückzögen. Obwohl es dafür keinerlei empirische Evidenz gibt und ich ihren Standpunkt nicht teile, muss anerkannt werden, dass sie damit einen Beitrag zur Versachlichung der Debatte leisten. Auf der Basis ihres Buches ist eine rationale und sachliche Auseinandersetzung um gesellschaftliche Ziele und die Mittel zu ihrer Erreichung möglich.
Dennoch können einige grundsätzliche Irrtümer benannt werden:
* Flassbeck et al. kennen offensichtlich nur eine Art von Produktivität, die sich innerhalb des kapitalistischen Verwertungsprozesses vollzieht. Andere Formen gesellschaftlicher Produktivität sind ihnen völlig fremd.
* Sie denken in keiner Weise über die ökologischen Grenzen des Planeten nach, zumindest verraten sie es im Buch mit keinem Wort, wenn sie es doch tun sollten.
* Die ökonomisch spannende Frage, wer das ganze Zeug denn brauchen soll, was die etwa drei Milliarden bisher nicht in die formelle kapitalistische Erwerbsarbeit integrierten Menschen weltweit in moderner Arbeitsteilung herstellen könnten, stellen sie gar nicht. Oder sollten die weiterhin ausgeschlossen bleiben?
* Und angenommen, das alles gelänge wider Erwarten doch, die Menschen wäre alle bereit zum Verkauf ihrer Arbeitskraft, die ökologische Frage würde wie von Zauberhand gelöst und der Konsum stiege so rasch wie die Produktivität, wie sollen wir dann in der auf alle Zeit verewigten Tretmühle kapitalistischer Erwerbsarbeit glücklich werden?
Zum Weiterlesen:
Heiner Flassbeck, Friederike Spieker, Volker Meinhardt, Dieter Vesper, Irrweg Grundeinkommen. Die große Umverteilung von unten nach oben muss beendet werden, Frankfurt (Westend) 2012, 224 Seiten, 16,99 €, ISBN 978-3-86489-006-2
Ronald Blaschke, Werner Rätz, Teil der Lösung. Plädoyer für ein bedingungsloses Grundeinkommen, Zürich (Rotpunktverlag) 2013, 208 Seiten, 17,90 €, ISBN 978-3-85869-564-2
Beitrag von Werner Rätz “Soziale Sicherheit für alle durch Erwerbsarbeit“