Noch 82 Tage: Die Grenzen auf! Migration und Grundeinkommen

Grundeinkommen – denn die Würde des Menschen ist unantastbar Wer bekommt eigentlich ein bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) Alle – heißt es in Diskussionen oft ganz lapidar, um dann – wenn es um Realisierbarkeit geht, mehr oder weniger starke Ausgrenzungen zu erleben. Bei Sichtung von Papieren und Webseiten zum BGE scheint die Frage ebenfalls zunächst ganz einfach gelöst: für alle „Individuen“, für alle „Gesellschaftsmitglieder“… konkreter wird es meist nicht. Hier der Link auf die Staatsbürgerschaft – womit die Ausschlusskriterien klar gezogen wären. Dort der – meist abstrakte – Hinweis auf die Internationalität der Forderung. Die Frage der Migration taucht so gut wie gar nicht auf.

Aus unterschiedlichen Diskussionen wissen wir jedoch, dass dies eine zentrale Streitfrage bildet, dass bisweilen sogar ausdrücklich behauptet wird, dass ein BGE klar definierte Grenzen brauche oder dass es nur nationalstaatlich umgesetzt werden könne. Und dass sich insofern und konsequenterweise die Forderungen von BGE und offenen Grenzen gegenseitig ausschließen. Da bestehende Sozialsicherungssysteme weitgehend nationalstaatlich organisiert sind, erscheint das zunächst auch logisch und allenfalls auf einen europäischen Rahmen erweiterbar. Also auf EU-Ebene, aber dann eben auch mit den diesbezüglich definierten Grenzen – ein euro-protektionistischer Raum also?


Wenn es in Sachen „Grundeinkommen“ um „den großen Haken der Migration“ geht, pendeln die Positionen häufig zwischen Ignoranz und Arroganz.In vielen Entwürfen taucht die Fragestellung nach den „Grenzen der neuen Freiheit“ allenfalls am Rande auf, doch die berechtigte Kritik an dieser Leerstelle driftet allzu gerne in überhebliche Polemik ab. Statt aber hehren Antirassismus gegen den sozial-politischen Ansatz des Grundeinkommen in Stellung zu bringen, plädiert der folgende Text für mehr produktiven Streit über den transnationalen Kontext wie auch über realpolitische Zwischenschritte, in denen die migrationspolitische Dimension ausdrücklich einbezogen wird. Entsprechende Kritiken und Anregungen aus Debattenbeiträgen der letzten Jahre werden nachgezeichnet, um schließlich perspektivische Anknüpfungspunkte u.a. im Ansatz der globalen sozialen Rechte sowie in der Initiative für eine „Sozialpolitik als Infrastruktur“ zu suchen.

Unproduktive Polarisierung, unzureichende Definitionen

Als „nationale Milchmädchen-Rechnung“ oder als „euronationalistisches Destillat“ wird das BGE entsprechend polarisiert in Teilen der antirassistischen Bewegung rezipiert. Das BGE trage „zur Verschärfung der Restriktionen bei, weil neben Rassismus und Xenophobie noch ein handfestes rationales Argument des ökonomischen Ausschlusses“ hinzukommt. Dass „Grundeinkommen und Migration in einem eliminatorischen Verhältnis zueinander stehen“, lautet im hier zitierten Text dann gar die finale Provokation, die aus GrundeinkommensverfechterInnen schon fast automatisch RassistInnen macht. Zugutegehalten werden kann zwar, dass überhaupt das Thema angerührt wird, doch in dieser Form erscheint die Auseinandersetzung vor allem als identitätspolitische Abgrenzung, die Sackgassen festschreibt und jedenfalls nichts weiterbringt.

„Ein Existenzgeld, das die Teilhabe am gesellschaftlichen Reichtum sichert, steht allen Personen, die dauerhaft in der BRD leben, unabhängig von Nationalität und Aufenthaltsstatus, in gleicher Höhe zu, ohne Unterhaltspflicht, ohne Bedürftigkeitsprüfung, ohne Arbeitszwang.“

In dieser Definition der Existenzgeld-Initiativen wird zwar mit Staatsbürgerschaft und der Frage der Papiere gebrochen, aber was meint dauerhaft? Nach fünf Jahren oder drei oder nur einem? Und damit blieben jedenfalls die kurzfristigen WanderarbeiterInnen ausgeschlossen.

Eine „staatlich organisierte Zahlung an alle Menschen im jeweiligen Hoheitsgebiet“, lautet eine ähnliche konzeptionelle Formulierung in einem Buch, die eine Ausgrenzung vermeiden will, sich aber auch um keine weitere Konkretion bemüht, was das in einer hochmobilen globalisierten Welt bedeuten soll.

Migration als Aneignungsbewegung

Flucht und Migration sind einerseits Reaktionen auf die massive Ausplünderung und die fortgesetzten Verwüstungen im globalen Süden. Sie drücken aber gleichzeitig den Anspruch auf ein besseres Leben und Einkommen aus, der sich in der Konfrontation mit dem globalen Apartheidregime zu einem Kampf um gleiche soziale Rechte verdichtet. Der Kapitalismus im 21. Jahrhundert ist ohne das globale Ausbeutungsgefälle nicht zu denken, das mittels Ungleichheit, Hierarchisierung, Zonierung entlang innerer und mehr noch entlang äußerer Grenzen konstruiert wird. Die Kombination rassistischer Ausgrenzung und systematischer Entrechtung mit prekärsten Ausbeutungsbedingungen muss als neue globale Apartheid bezeichnet werden, gegen die sich die weltweit zunehmenden Bewegungen und (Alltags-)Kämpfe von Flüchtlingen und MigrantInnen richten. Indem die MigrantInnen gegen dieses Ausbeutungsgefälle wandern, wird ihre Bewegung zu einer vor allem sozialen, zumeist stillen und politisch nicht artikulierten (Wieder-)Aneignungsbewegung. MigrantInnen unterlaufen die Grenzregimes, schlagen sich notfalls als Illegalisierte durch und sorgen über ihre immens gewachsenen Remisen, also die Rücküberweisungen in ihre Herkunftsorte, für eine Umverteilung des Reichtums von Nord nach Süd. So verstanden steht migrantische Bewegung für eine Globalisierung von unten, und in entsprechender Orientierung fand im Rahmen der Anti-G-8-Proteste 2007 eine migrationspolitische Demonstration mit über 10.000 Beteiligten statt.

Globale soziale Rechte

„Globale Soziale Rechte setzt aber auch der Anspruch der MigrantInnen auf weltweite Bewegungs- und Niederlassungsfreiheit auf die Tagesordnung. Das stellt nicht nur Grenzen und soziale Hierarchien, sondern sämtliche nationalstaatlich-protektionistischen und noch die auf den europäischen Raum erweiterten Politikkonzeptionen in Frage. Die Widersprüche unter den Lohnabhängigen spitzen sich im Verhältnis zum Rechtsanspruch der MigrantInnen noch einmal zu. Das ist kein Zufall, weil sich die Ambivalenzen des Globalisierungsprozesses in der Figur der MigrantIn und den Strategien der selektiven Ein- und Ausgrenzung verdichtet, der sie unterworfen werden soll.“

Hier können sie den vollständigen Beitrag von Hagen Kopp lesen …

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